Aus aktuellem Anlass ein paar Worte zu der immer wieder auflammenden Diskussion Pro und Contra Widerspruchslösung und an all die, die mich wegen meiner vehementen Aktivitäten angreifen.
Zu Beginn, es geht nicht darum Menschen zu bedrängen Organe zu spenden, es geht auch nicht darum, in die sensiblen Vorgänge um eine mögliche Spende (Gespräche mit Angehörigen) in irgendeiner Weise eingreifen zu wollen. In einem Kommentar wurde mir mein lautes Vorgehen vorgeworfen und gesagt, wenn man um eine Spende bittet, wäre der einzige Weg der Ruhige und Freundliche. Es geht in meiner Arbeit aber nicht darum, Menschen um eine Spende zu bitten, zu überreden oder gar zu nötigen. Desgleichen bedeutet eine Widerspruchslösung keinen Zwang zu einer Organspende und macht auch niemanden zum Ersatzteillager. Die Widerspruchslösung sorgt dafür, dass sich jeder selbst Gedanken darüber machen muss und eine Entscheidung treffen muss. Das wäre ebenso über eine verpflichtende Entscheidungslösung zu erreichen, dazu später mehr. Vorab ein paar Überlegungen zum Thema „Spende“. Es wird oft gesagt, eine Spende müsse freiwillig erfolgen. Richtig, aber man kann feststellen, dass die Organspende eine von etwas ist, was man selbst zum Zeitpunkt eines Hirntodes nicht mehr braucht. Ich gehe hier nicht auf die Zweifler am Hirntod ein. Der Hirntod oder Ausfall aller Hirnfunktionen bedeutet, der Verwesungsprozess hat eingesetzt und es gibt keinen selbsttätigen Atemreflex mehr, weil auch das Stammhirn abgestorben ist. Unumkehrbar. Um mal ein wenig von der moralischen Aufgeladenheit wegzukommen, stelle man sich folgendes vor: Ein Mann kauft sich eine neue Winterjacke und wirft die Alte in den Müll. Neben der Mülltonne sitzt ein Obdachloser am Erfrieren. Unsere Gesellschaft mit ihren Wertevortstellungen würde ihm sicher empfehlen, dem Mann die alte Jacke zu spenden und ihm so das Leben zu retten. Ich bin nicht religiös, aber genau das ist ein Grundwert des christlichen Glaubens, der unser Wertesystem bestimmt. Allerdings gehen die Christen weiter, teile die Jacke, die Du hast. Daher haben wir eine gut verwurzelte Tradition von caritativer Arbeit und Weiterverwertung noch brauchbarer Dinge. Unsere Großeltern waren da wahrscheinlich noch gewissenhafter, weil sie selbst Hunger, Leid und Not kannten. Genau diese Grundwerte von Rücksichtnahme und gegenseitigem Achtgeben sind gerade wieder in aller Munde. Unsere Chance, die Corona- Krise gemeinsam zu bewältigen.
Die Frage nach dem Umgang mit Organspende ist also auch eine Wertedebatte. Wollen wir eine Regelung, die die Spende von Organen, (nur falls man sie selbst nicht mehr benötigt) zu einem aussergewöhlichen, selten vorkommenden Akt macht, der selbstverständlich aussergwöhnliche Dankbarkeit nach sich ziehen muss, oder soll sie der Regelfall sein.
Wollen wir Mitmenschen sterben lassen, weil wir etwas, was wir selbst nicht mehr brauchen lieber verwesen lassen oder wollen wir anderen helfen, wenn es möglich ist? Ich denke, die Gesellschaft hat diese Entscheidung mehrheitlich schon lange getroffen, vor allem da die meisten Menschen wissen, dass ihr persönliches Risiko irgendwann selbst ein Organ zu benötigen um das vielfache höher ist, als das ein Organspender zu werden. Sie entspricht den Wertevorstellungen der meisten Menschen. Das zeigen alle Umfragen zur Organspende, mit ca 80% positiver Bewertung dessen. Allerdings ist dies eine Sache, das Ausfüllen eines Organspendeausweises eine Andere. Mein 20jähriger Sohn hat es mal so formliert, sollte es passieren, könnt ihr alles nehmen, aber ich unterschreibe diese Karte nicht, das ist wie ein Vertrag mit dem Tod. Bisher ist es so, dass die meisten Menschen sich nicht damit befassen, verständlicherweise, ist doch das Risiko bei gerade mal 0,03%. So gehen fast alle, richtigerweise, davon aus, dass sie zu den 99,97% gehören werden, die es nicht betrifft. Sollte es dann doch passieren, wird meist gar nicht gefragt. Das ist das „Strukturproblem“ in den Klinken. Einer meiner Anklagepunkte. Wird doch nach einer Organspende gefragt, müssen ausgerechnet die trauernden Angehörigen diese schwere Entscheidung treffen. Die Menschen, die dadurch den größten Verlust erleiden, da sie dann nicht dabei sein können um die Hand des Sterbenden zu halten, wenn er oder sie endgültig geht. Wie viel einfacher wäre das, wenn man wüsste was der oder diejenige gewollt hätte? Wie viel einfacher ist es, diese Entscheidung für sich selbst zu treffen? Die Widerspruchsregelung führt genau dazu, dass jeder sich einmal diese Gedanken machen muss. Es gibt viele Dinge, die wir dem Staat mitteilen müssen, unsere Adresse, Religionszugehörigkeit für die Kirchensteuer, Kinder für die Steuerklasse ect. Warum nicht eine Entscheidung zur Frage, würden Sie Ihre Organe spenden wollen oder nicht. Ohne jeden Zwang ohne eine moralische Vorgabe. Das ist es, was ich fordere. Im Gegensatz zur Winterjacke geht es um den sehr persönlichen, einmaligen Vorgang des Sterbens. Jeder sollte darüber selbst bestimmen, auch wenn unsere moderne Medizin das eh oft schwer macht. Ich trete vehement auf und fordere, aber nicht am Bett von Sterbenden um Organe, sondern für eine Regelung, die jeden selbst diese Entscheidung treffen lässt. Weiter fordere ich dringend, dass die Gelder, die von unseren Krankenkassenbeiträgen für diese Arbeit in den Kliniken bereit gestellt werden, auch dafür verwendet werden!
Und ich greife die Grünen scharf an, jene Partei, die sich sonst für Randgruppen, Flüchtlinge und Benachteiligte einsetzt… Alles Dinge, die ich mit meinem Wertesystem richtig finde. Die Wähler der Grünen fanden auch zu 72% die Widerspruchsregelung wäre die Richtige! Kurz zur Alternative, der verpflichtenden Entscheidunglösung: Selbst wenn man von 25.000 bis 27.000 möglichen Spendern jährlich ausgeht, sind das lediglich die besagten 0,03%. Man sollte sich volkswirtschaftlich fragen, wieviel ein Register, in das sich die gesamte Bevölkerung (83 Mio Menschen) eintragen soll, kosten wird? Ist da die Alternative, ein Register, in das sich der Teil, der nicht spenden will, einträgt, nicht einfach vernüftiger? Soweit dazu. Im gesamten europäischen Umland hat man sich für diesen Weg entschieden und zum Beispiel in Spanien eine Kultur der Organspende geschaffen. Dort gibt es kaum Dialyse-Praxen, die Mehrheit der Patienten wird mit einer Transplantation versorgt. Bei uns ist ein Organspendeausweis noch lange kein Garant, dass dieser Wille umgesetzt wird, sollte es möglich werden! Euch einen guten Start in 2021.

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